Fast einen Drittel unserer Lebenszeit schlafen wir. Während des Schlafens finden lebenswichtige Prozesse statt, wir erholen und regenerieren uns.
Der Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen wird von dem Hormon Melatonin gesteuert. Es wird in der Epiphyse (Zirbeldrüse) aus Serotonin hergestellt. Andere Produktionsorte im Körper sind der Darm und die Netzhaut des Auges. Für die Steuerung des Tag-Nacht-Rhythmus ist jedoch in erster Linie das Melatonin aus der Epiphyse verantwortlich. Das Hormon wird bei Dunkelheit ausgeschüttet, deswegen werden wir abends müde. Der Melatonin-Spiegel im Blut steigt langsam an und erreicht zwischen zwei und drei Uhr morgens seinen Höhepunkt. In den frühen Morgenstunden wird die Produktion durch das Licht gehemmt und der Melatonin-Spiegel fällt wieder ab.
Der Schlaf beginnt zunächst mit einer Leichtschlafphase. Danach folgt eine Tiefschlafphase und daraufhin erfolgt wieder eine Leichtschlafphase, die schliesslich in eine circa 20 minütige REM-Phase (Rapid Eye Movements) mündet. In dieser Phase erschlaffen sämtliche Muskeln, nur die Augen bewegen sich schnell hin und her. In diesen Zeitraum spielen sich ein Grossteil der Träume ab. In der REM-Phase träumt jeder Mensch, auch wenn er sich nachher nicht daran erinnern kann. Ein solcher Schlafzyklus dauert ca. 90 Minuten und wird im Laufe einer Nacht circa vier- bis fünfmal wiederholt. Der ungestörte Ablauf dieses Zyklus ist Voraussetzung für den erholsamen Schlaf. Bei Kleinkindern beträgt der REM-Anteil circa 50 Prozent und nimmt im Erwachsenenalter auf etwa15–20 Prozent ab.
Über 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung klagt über gelegentliche Ein- und Durchschlafstörungen, 10 bis 20 Prozent über chronisch gestörten Schlaf. Die Kurzzeitfolgenfolgen von Schlafmangel sind Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Gereiztheit, Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, verminderte Fähigkeit zur Selbstorganisation und Konzentrationsprobleme. Die Langzeitfolgen sind Übergewicht, frühzeitige Alterung, chronische Müdigkeit, Infekt Anfälligkeit und ein erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen.
Es gibt verschiedene Formen von Schlafstörungen, sie lassen sich in folgende Gruppen einteilen: Ein- und Durchschlafstörungen, Krankhaft gesteigertes Schlafbedürfnis, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Schlafapnoe und Narkolepsie/Kataplexie.
Zu den wichtigsten Ursachen von Ein- und Durchschlafstörungen zählen psychische bzw. soziale Probleme. Häufig sind auch körperliche Erkrankungen für Schlafstörungen verantwortlich. Auch Genussmittel wie Alkohol, Rauchen, Medikamente und Drogenmissbrauch spielen eine grosse Rolle bei der Entstehung von Schlafstörungen. Der Schlaf kann jedoch auch ohne ersichtlichen Grund gestört sein. Schnarchen, Zähneknirschen, Alpträume, ständige Bewegung der Beine (Restlesslegs-Syndrom) und Schlafwandeln verhindern ebenfalls einen erholsamen Schlaf.
Schlafstörungen aus Sicht der TCM
Aus der Sicht der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) entstehen Schlafstörungen aus einer Disharmonie zwischen Ying-Qi (Nähr-Qi) und Wei-Qi (Abwehr-Qi). Ying-Qi und Wei-Qi zirkulieren in einem regelmässigen Kreislauf im Körper. Das Ying-Qi nährt und wärmt den Körper und zirkuliert fünfzig Mal am Tag in den Meridianen. Das Wei-Qi schützt den Körper und zirkuliert jeweils fünfundzwanzig Mal in der Yang Region (Körperäusseren) am Tag und fünfundzwanzig Mal in der Yin Region (Körperinneren) in der Nacht. Abends verlagert sich das Wei-Qi ins Innere. Es zirkuliert in den Organen, so dass sich die Muskeln und Sehnen entspannen; der Schlaf beginnt. In der Morgendämmerung, nachdem die Kreisläufe in der Yin-Regionen abgeschlossen wurden, beginnt die Zirkulation in der Yang-Region; wir wachen auf. Auch wenn die Wege von Ying-Qi und Wei-Qi unterschiedlich sind, sind sie wie ein Ring ohne Ende verbunden. Wenn diese Dynamik gestört ist treten Schlafstörungen auf. Grundsätzlich kann die Entstehung von Schlafstörungen in einem Satz zusammengefasst werden. Lin Pei Qing, ein Qing-Dynastie Arzt, schrieb im „Lei Zheng Zhi Cai «Yang ist nicht in Verbindung mit dem Yin.» In Wirklichkeit ist der Ursprung von Schlafstörung sehr viel komplexer und umfassender.
Letztendlich ist Schlaflosigkeit immer ein Problem des Herzens, in dessen Blut der Shen (Geist) verankert ist. Wird das Herz nicht ausreichend mit Qi und Blut versorgt, ist der Geist nicht verankert und man kann nicht einschlafen. Besteht ein Yin-Mangel oder ein Yang-Überschuss, dann treibt die Hitze den Shen immer wieder aus seiner Ruhe und man wacht immer wieder auf.
Diverse Organ-Disharmonien (Muster) können ebenfalls irritierend auf das Herz und den Geist wirken, vor allem Leber- und Gallenblasen-Muster, eine gestörte Zirkulation des Qi (Lebensenergie) und des Blutes oder ein Mangel von Qi und Blut, sowie Nahrungsstagnation im mittleren Erwärmer (Der Dreifacherwärmer oder Sanjiao ist ein Meridian, der aus drei Teilen besteht: 1. zum oberen Erwärmer gehören die Lungen und das Herz 2. zum mittleren Erwärmer gehören Magen und Milz 3. zum unteren Erwärmer gehören die Leber, die Nieren, der Dünn- und Dickdarm sowie die Blase).
Hauptsächlich wird zwischen Fülle- und Leere-Mustern unterschieden. Oft trifft man auch Kombinationen von Mustern an. Welches Muster hauptsächlich für die Schlafstörung verantwortlich ist, zeigt schlussendlich die Anamnese mit der Zungen- und Pulsdiagnose.
Insomnia in der Diagnostik
- Einschlafstörungen – Diagnose: Herz-Blut-Mangel, Herz-Qi-Mangel, Milz-Qi-Mangel oder eine Disharmonie zwischen Ying-Qi (Nähr-Qi) und Wei-Qi (Abwehr-Qi).
- Durchschlafstörungen – Diagnose: Yin-Mangel mit aufsteigendem Feuer oder Disharmonie zwischen Herz und Niere
- Traum gestörter Schlaf – Diagnose: Leber-Feuer, Leber-Qi-Stagnation, Herz-Feuer oder Nahrungsstagnation
- Frühes Erwachen – Diagnose: eine Schwäche der Gallenblase
- Müdigkeit nach dem Essen – Diagnose: Milz-Qi-Mangel
- Lethargie (Bewusstseinsstörung die mit Schläfrigkeit und einer Erhöhung der Reizschwelle einhergeht) mit einem Schweregefühl – Diagnose: Ansammlung von Nässe, Feuchtigkeit oder Schleim
- Extreme Lethargie mit Kältegefühl – Diagnose: Nieren-Yang-Mangel
- Lethargie und Stupor (Starrezustand des ganzen Körpers bei wachem Bewusstsein) mit äusserer Hitze – Diagnose: Hitze im Perikard
- Lethargie und Stupor mit Rasseln in der Kehle – Diagnose: Schleim benebelt den Geist
Auch die Zeit, in der Schlafstörungen auftreten, kann Hinweise geben welcher Funktionskreis betroffen ist. Laut TCM fliesst das Qi in den Meridianen durch den Körper. Alle zwei Stunden wird ein Funktionskreis besonders durchflutet. Wenn wir also immer wieder zur selben Zeit Beschwerden haben, deutet dies darauf hin, dass mit dem Energiefluss etwas nicht stimmt. Die Organuhr kann Hinweise geben, welcher Funktionskreis betroffen ist, und hilft in uns bei der Anamnese. Wacht man zum Beispiel immer zwischen 1-3 Uhr auf, deutet das auf ein Problem mit dem Funktionskreis Leber.
Behandlung
Aus Sicht der TCM hat Schlaflosigkeit verschiedene Ursachen. Damit ein Behandlungskonzept erstellt werden kann, muss der TCM Therapeut zuerst eine Anamnese erstellen. Diese besteht aus den vier klassischen Diagnosemethoden, der Befragung, der Betrachtung, dem Tasten und dem Hören und Riechen. Anhand dieser Anamnese erstellt der TCM Therapeut das Behandlungskonzept. Ist die Ursache zum Beispiel ein Herz-Blut-Mangel, dann ist das Behandlungskonzept: das Blut, das Herz und die Milz stärken und den Geist beruhigen. Das Behandlungskonzept wird immer speziell auf das jeweilige Krankheitsmuster des einzelnen Patienten abgestimmt.
Schlafhygiene
Eine gute Schlafhygiene setzt sich aus vielen verschiedenen Faktoren zusammen. Schlafrituale gehören ebenso dazu wie regelmässige Schlafenszeiten. Meditation, Akupressur, Qi Gong und eine gute Ernährung können auch dazu beitragen besser zu schlafen. Alkohol im Übermass sowie koffein- und teeinhaltige Getränke sollten nach 16.00 Uhr vermieden werden. Das Schlafzimmer sollte ruhig und dunkel sein, eine Zimmertemperatur sollte nicht zu warm sein (ca. 18 Grad ist optimal). Elektronische Geräte wie Computer oder TV haben im Schlafzimmer nichts verloren, ebenso wie Spiegel oder Farben mit hoher Saturation (z.B. knalliges Rot oder ein sattes Grün).
Muster Identifizierung
Im Folgenden sind einige der häufigsten Muster für Schlaflosigkeit aufgelistet.
Herz und Milz-Mangel
Leber-Blut-Mangel
Nieren-Essenz-Mangel
Schwäche der Gallenblase
Yin-Mangel mit aufsteigendem Feuer
Leber-Qi-Stagnation
Schleim benebelt den Geist
Nahrungsstagnation
Disharmonie zwischen Herz und Niere
Disharmonie zwischen Ying-Qi (Nähr-Qi) und Wei-Qi (Abwehr-Qi)
Zitate aus den Klassikern der chinesischen Medizin
Um die Theorie und Ätiologie von Insomnia zu verstehen, muss mit einem Verständnis der grundlegenden Theorien und Prinzipien der alten taoistischen und konfuzianischen Konzepten der Entstehung des Universums und aller Dinge begonnen werden.
- Yi Jing (ca. 700 v.Chr.):
«Das, was jenseits von Yin und Yang ist heißt Shen.»
- Ling Shu Kapitel 8 (ca. 300 v.Chr.):
«Die Leber speichert das Blut und beherbergt die Wanderseele (Hun) … Die Milz speichert das nahrhafte Qi (Ying-Qi) und beherbergt den Willen (Yi) … Das Herz kontrolliert die Blutgefäße und beherbergt den Geist (Shen) … Die Lungen beherrscht das Qi und beherbergt (Po) … Die Niere speichert Jing (Essenz) und beherbergt die Willenskraft (Zhi).»
- Ling Shu Kapitel 8 (ca. 300 v.Chr.):
«Trauer und Leid, Sorgen, Wut und Angst zu verletzen den Shen.“
- Ling Shu Kapitel 18 (ca. 300 v.Chr.):
«Mitternacht ist die Zeit des Yin Überschusses [Tai Yin]. Nach Mitternacht nimmt Yin ab; in der Morgendämmerung ist Yin erschöpft, während Yang zunimmt [ShaoYang]. Gegen Mittag ist die Zeit des Yang Überschusses [Tai Yang], am Nachmittag nimmt Yang ab; am Abend ist Yang erschöpft, während Yin zunimmt [Shao Yin].»
- Ling Shu Kapitel 28 (ca. 300 v.Chr.):
«Wenn Yang-Qi ist erschöpft und Yin-Qi ist in Fülle, eine Person beginnt zu schlafen. Wenn Yin-Qi ist erschöpft und Yang-Qi ist in Fülle, eine Person erwacht.»
- Ling Shu Kapitel 28 (ca. 300 v.Chr.):
«Wei-Qi bewegt sich in der Yang-Region des menschlichen Körpers am Tag, und es bewegt sich in der Yin-Region in der Nacht. Yin ist die Kontrolle über die Nacht … Das bedeutet, wenn Yang-Qi erschöpft ist und Yin-Qi in Hülle und Fülle ist, beginnt eine Person zu schlafen. Auf der anderen Seite, wenn Yin-Qi erschöpft ist, und Yang-Qi in Hülle und Fülle ist, wacht eine Person auf. »
- Su Wen, Kapitel 66 (ca. 300 v.Chr.):
«Die Geburt der Dinge wird als Transformation bezeichnet, die Grenze der Dinge wird als Mutation bezeichnet, das unermessliche von Yin und Yang heißt Shen.»
- Chou Tuan-i’s treatise T’ai-Chi T’ao Shuo (960-1279):
«Von Wu-Chi kommt Tai-Chi. Wenn Tai-Chi sich bewegt erschafft es Yang. Wenn die Bewegung eine Extreme erreicht, tritt Stille ein. In der Stille, wird Yin geboren. Bewegung und Ruhe folgen aufeinander. Yin und Yang, Stille und Bewegung, bilden die Kraft der Schöpfung. Von Yin und Yang stammen die Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Die fünf Elemente befruchten sich gegenseitig und erzeugen die vier Jahreszeiten. Die fünf Elemente stammen von Yin und Yang. Yin und Yang stammen vom Tai-Chi und Tai-Chi stammt von Wu-Chi. Aus dem Qi des Himmels [Qian Gua], wird das männlich geboren. Aus dem Qi der Erde [Kun Gua], wird das weiblich geboren. Aus der Vereinigung von Qian [Yang] und Kun [Yin] entstehen die zehntausend Dinge. Die zehntausend Dinge haben ihren Ursprung im Wu-Chi.»
- Laozi Kapitel 42 (ca. 400 v.Chr.):
“Das Tao gebiert Eins, Eins gebiert Zwei, Zwei gebiert Drei, Drei gebiert alle Dinge. Alle Dinge haben im Rücken das Weibliche und schauen auf das Männliche.”
- Pi Wei Lun von Li Dong Yuan (1249):
«Das Qi ist der Stammvater des Shen (Geist), das Jing (Essenz) ist der Sohn des Qi und das Qi ist der Blattstiel des Jing und Shen. Es ist notwendig, das Qi zu speichern, damit es sich in Jing umwandelt, das Jing zu speichern, um den Shen intakt zu halten, zu beruhigen und zu schützen.»
- Lin Pei Qing, ein Qing-Dynastie Arzt, Lei Zheng Zhi Cai 类 证 治 裁:
«Yang ist nicht in Verbindung mit dem Yin.»
- Zhang Jing Yue, ein Ming-Dynastie Arzt, Jing Yue Quan Shu 景 岳 全书:
«Die Symptome der Schlaflosigkeit, obwohl die Ursachen der Krankheit zahlreich sind, braucht man nur zwei Worte zu wissen; pathogenes (Qi) und gesundes (Qi), dies umfasst sie alle. Der Schlaf ist im Yin verwurzelt und der Geist (Shen) ist der Herrscher. Schlaf ist das Ergebnis von einem ruhigen Geist. Wenn der Geist nicht ruhig ist, kann man nicht Schlaf. Die Gründe für die mangelnde Ruhe sind entweder Störung durch pathogenes Qi oder unzureichendes Ying-Qi (gesundes Qi).»
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